Gute Zeiten,schlechte Zeiten. Gute alte Zeiten?

ZwischenRevolution und Anpassung: 25 Jahre SchwuBiLe-Arbeit

Von Axel Bach am 28.05.2009

Liebe Homolitoninnen und Homolitonen, liebe Bisexuelle, liebeHeterosexuelle!

Jubiläen sind ja immer eine feine Sache – und ein„SchwuBiLäum“ natürlich ganz besonders. Deswegen hatte ich mich sehr gefreut, dasses wieder was zu feiern gibt. Ich sollte dem SchwuBiLe-Referat einen30-sekündigen Video-Gruß schicken. Nun arbeite ich aber beim Fernsehen undweiß: Damit so was richtig gut wird, ist ein hoher Aufwand nötig: Kameramann,Tonmensch, Licht, Regisseur, ein Autor, der den pfiffigen 30-Sekünder textet,ein toller Schauspieler, der mich authentisch darstellen kann und einen Cutter,der alles zusammenschneidet. Kurz und gut: Dazu hatte ich leider keine Zeit.

Aber da war noch eine Frage: 30 Sekunden für 25 Jahre? –Also 1,2 Sekunden pro Jahr? Das erschien mir doch ein bisschen wenig und auchgar nicht angemessen. Denn jedes SchwuBiLe-Jahr hat mehr als 1,2 Sekundenverdient. Deshalb habe ich um 600 Sekunden gebeten: Das ergibt dann wenigstens 24Sekunden pro Jahr – die Begrüßung jetzt natürlich nicht mit eingerechnet.

Apropos Rechnen: Als ich vor ziemlich genau 15 Jahren 25wurde, hatte ich es einfach: Ich konnte in meinen Personalausweis gucken und dastand genau drin, wann mein „Gründungstag“ war. Und als jetzt dieBundesrepublik 60 wurde, war dies auch nicht besonders schwierig festzustellen,weil das Gründungsdokument gut aufbewahrt wird. Aber man kann es auch imBrockhaus oder bei Wikipedia nachlesen.

Wie alt das SchwuBiLe genau ist, ist da schon etwaskomplizierter! Von welchem Zeitpunkt rechnet man überhaupt: Wann wurde dasSchwuBiLe geboren? War es am Tag der „Konstituierung der Schwulen- undLesbengruppe an der Universität – Gesamthochschule Duisburg“ am 8. Juni 1983?Dann könnten wir in anderthalb Wochen schon den 26. Jahrestag begehen. Oder wares die „erste offizielle Vollversammlung nach Anerkennung durch den AStA“ am27. April 1989? Dann wäre in diesem Jahr erst der 20. Geburtstag dran.

Unsere bisherigen Geburtstage haben wir übrigens immer imNovember gefeiert – zuletzt am 20. November 2003. Warum im November? Ich weißes leider auch nicht.

Aber es zeigt, wie schnell Geschichte verloren geht, wennman sie nicht aufschreibt. Heute kannes uns vielleicht egal sein, dass an diesem Donnerstag hier in Essen gefeiert wird.In 20 Jahren kann das schon ganz anders sein. Denn dann wird in der Rückschau vielleichtklar, dass dieses Jubiläum nicht einfach nur am 28. Mai 2009 begangen wurde; möglicherweisewar es ja das letzte, das überhaupt gefeiert werden konnte? Ich will es nichthoffen!

Um sich heute klar zu machen, warum das Aufschreiben – auchvon eher belanglosen Daten – sinnvoll ist, lohnt ein Blick zurück: Nehmen wirmal an, das SchwuBiLe gibt es seit dem 8. Juni 1983. Wie sah es denn zu dieserZeit in unserer Republik aus? Das kann man heute alles nachlesen, weil esjemand aufgeschrieben hat:

Seit Oktober 1982 regierte Helmut Kohl, der diegeistig-moralische Wende wollte. Und die Grünen schafften im März 1983 denSprung in den Bundestag. Auf den ersten „offen schwulen“ Bundestagsabgeordnetenmussten wir da noch zwei Jahre warten. Seinen Namen kennt heute kaum nochjemand: Herbert Rusche hieß der und rückte 1985 für einen gewissen Joseph Fischerin den Bundestag nach, der schließlich 1998 zum Vizekanzler und Außenministerernannt wurde.

Noch zwei Tage vor der Gruppengründung titelte der SPIEGEL:„Tödliche Seuche AIDS – Die rätselhafte Krankheit“. Was viele vielleicht nichtoder nicht mehr wissen: Der SPIEGEL war in der Frage Aids alles andere als einliberales Magazin: Erwin In het Panhuis vom „Centrum Schwule Geschichte“ beschriebes in einem Vortrag an der Duisburger Uni so:

„Von 1982 bis Ende der1980er-Jahre betreibt der Spiegel eine Schwulenhetze, die als rechts von derCSU bezeichnet werden kann.“

Damals schlug ein Peter Gauweiler vor, alle HIV-Positiven zuinternieren. Die gerade erkämpften kleineren Freiheiten der Schwulen waren miteinem Schlag wieder bedroht – und zwar massiv.

Und in diesem Klima bildet sich nun an der kleinenDuisburger Gesamthochschule eine Schwulen- und Lesbengruppe. Wohlgemerkt: DerAufruf stand nicht in der Lokalpresse. Eine Schwulen-Presse, wie wir sie heutekennen, gab es nicht. Und das World Wide Web wird erst zehn Jahre später soeiniges verändern ...

Und trotzdem – oder gerade deswegen – kamen dann zehn Lesbenund Schwule zur Duisburger Uni-Gruppe – zwei Jahre, nachdem an der FreienUniversität Berlin das erste Schwulenreferat der Republik gegründet wurde.

Diese Anfangszeit war schon abenteuerlich. Ich kann michnoch gut an die Erzählungen von Reinhard Heikamp und Wulf Thomas erinnern:Damals riss der Hausmeister im Auftrag des Kanzlers regelmäßig die Aushänge derSchwulen- und Lesbengruppe ab. Logische Konsequenz: Es musste ein „Rosa Brett“her – und damit gab es den ersten offiziellen Kontakt der Schwulen- undLesbengruppe mit der Hochschulleitung: ein Antrag auf Einrichtung eines RosaBrettes. Das Antwortschreiben ging dann so:

„Bei EntsprechungIhres Antrages müssten danach auch andere Interessengruppen, z.B.Briefmarkensammler, anerkannt werden, die es auch außerhalb der Hochschulegibt. Dies kann aber nicht Sinn des Anerkennungsverfahrens sein, da keinespeziellen studentischen Belange berührt werden.“

Etwas besser sah es da unter den politischen Gruppierungenaus, die zur StuPa-Wahl 1985 antraten: Bis auf den RCDS sprachen sich alleGruppen für die Einrichtung eines Schwulen- und Lesbenreferates aus. Der RCDSübernahm sogar Teile aus dem Ablehnungsbrief des Kanzlers:

„Es ist uns klar, dassSchwule und Lesben aufgrund eines biologischen Irrtums der Natur mit ihrerUmwelt Probleme haben, und öffentliche Aufklärungsarbeit ist in unsererDemokratie noch nie verboten gewesen, aber die Anerkennung der Homosexuellenals Hochschulgruppe sollte ausbleiben. Denn dann kommen demnächst noch dieBriefmarkensammler und die Anglerfreunde.“

Heute kann man kann über solche Zitate schmunzeln. Selbstder RCDS würde sich heute wahrscheinlich nicht mehr so ausdrücken. Doch heißtdas auch, dass die Situation von Lesben und Schwulen besser geworden ist?

Da sage ich absolut und uneingeschränkt: Ja! Und trotzdem dannein „Aber!“. Denn wenn es um die Akzeptanz von Lesben- und Schwulen geht, bleibtimmer noch viel zu tun. Und das Schlimme ist: Das muss jede Generation wiederaufs Neue tun – und zwar selbst! Wir machen unseren Nachwuchs ja in der Regelnicht persönlich, sondern bedienen uns da unserer heterosexuellenMitbürgerinnen und Mitbürger. Dafür sollten wir ihnen zutiefst dankbar sein!

Aber die Tatsache, dass die meisten Eltern heterosexuellveranlagt sind, macht auch schon das Problem deutlich: Die Kinder wachsenzumeist in einer heterosexuellen Umgebung auf. Oder wie man es imWissenschaftsbetrieb ausdrücken würde: Die Gesellschaft ist heteronormativ.

Und bei den wenigen lesbisch-schwulen Eltern entwickeln sichdie Kinder meist auch noch heterosexuell! Da ist also nichts zu holen – außervielleicht einen offenen Umgang mit der Thematik, was ja schon mal eine guteGrundlage ist.

Also noch mal: Wie weit sind wir? Dazu nur zwei Gedanken:

1.) Schönes Beispiel: Thomas Gottschalk bei „Wetten,dass..?“. Wenn der mit jungen männlichen Wett-Kandidaten nach der Wette nochetwas plaudern will, dann fragt er sie meist, ob sie eine Freundin haben – oderob sie mal zu „Paris Hilton“ aufs Sofa klettern möchten. Ich bin gespannt, wannder erste Kandidat sagen wird: „Ich bin schwul und möchte lieber zu Brad Pittauf den Schoß!“

2.) Oder macht ein Experiment – es reicht sogar, dies nur inGedanken zu tun: Stellt euch zwei Jungs auf einem Schulhof vor, die sich in dergroßen Pause küssen ... Wer in der vergangenen Woche das WDR-Magazin „West.Art“gesehen hat, weiß, was ich meine. Denn die haben genau dieses Experimentgemacht. Wahrscheinlich habt ihr genug Fantasie oder gar eigene Erfahrungen, umes euch selbst vorzustellen, was da abgegangen ist.

Lesben und Schwule haben also nicht so viel erreicht, wieman auf den ersten Blick annehmen könnte.

Manche sagen: Die Streichung des Paragrafen 175 war eingroßer Erfolg. Doch die Streichung wurde erkauft durch eine Verschärfung desParagrafen 182: Demnach begibt sich in juristische Grauzonen, wer zum Beispielals 18-Jähriger Sex mit einem 17-Jährigen hat – egal ob homo oder hetero! Undrein juristisch ging es bei der Abschaffung des Paragrafen 175 vor allen Dingenum die Rechtsangleichung mit der Gesetzeslage in der ehemaligen DDR.

Manche führen die sogenannte Homo-Ehe als Errungenschaftauf. Sicherlich: Für einzelne Paare mag das seit dem 1. August 2001 gültige„Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft“ eine gute Sache sein. Abereine Zumutung ist es allemal, sich als Homosexueller einem Sondergesetzunterwerfen zu müssen, wenn man denn nun unbedingt heiraten beziehungsweise sichverpartnern lassen will.

Es werden Gesetze erlassen, die niemand braucht. Dabei wärees doch so einfach: Ehe und Ehegattensplitting abschaffen! Familie ist dort, woKinder erzogen werden. Und wer einen „Schein“ braucht, vereinbart so was wieden „PACS“ in Frankreich, den „Zivilen Solidaritätspakt“, bei dem sich zweiMenschen zu gegenseitiger Hilfe verpflichten.

Meinetwegen sollen sie auch heiraten dürfen.

Warum erzähle ich das hier alles eigentlich? Das mag sichmancher fragen, wo es doch heute um „25 – oder 26 – Jahre SchwuBiLe“ geht. Nun– aus einem ganz einfachen Grund: Ich bin fest davon überzeugt, dass es genausolche Themen sind, über die es sich lohnt, nachzudenken und zu streiten – undzwar vor großem Publikum; denn Aufklärung tut auch in 2009 Not!

Schauen wir doch noch mal in die Geschichte des SchwuBiLes!Was gab es vor einigen Jahren für Veranstaltungen?

Ich möchte aus dem riesigen Angebot vor allen Dingen eineForm hervorheben: unsere Podiumsdiskussionen. Wenn man Menschen mitunterschiedlicher Meinung aufeinander loslässt – gelenkt und im Zaum gehalten durcheinen Moderator – ist das im besten Sinne bildend und dabei auch noch ziemlichunterhaltsam. Als ich im vergangenen Jahrtausend in den 1990er-JahrenSchwuBiLe-Referent war, hatten wir zum Beispiel diese Themen:

Neben diesen inhaltsschweren Veranstaltungen gab esnatürlich mindestens genauso viele – um ehrlich zu sein: sogar deutlich mehr –Veranstaltungen der üblichen Sorte: Lesungen, Filmvorführungen, daswöchentliche SchwuBiLe-Café und natürlich die legendären Sektempfänge. Und daswar auch gut so!

Eine Grundgedanke zeichnete die frühere Arbeit desSchwuBiles aus, die heute – soweit ich das mitbekomme – völlig eingeschlafenist: das Vernetzen mit anderen Gruppen. Damit meine ich nicht in erste Liniedie Vernetzung der Referate untereinander oder mit Schwulengruppen in Duisburg oderEssen, sondern die Vernetzung mit lokalen Gruppen vor Ort: Ob nun Amnestyinternational, Antifa, JungdemokratInnen, das whk oder progressive Listen imStuPa. Wer nicht nur das eigene Süppchen kocht, hat mehr Abwechslung beim Essen... Mal ganz abgesehen davon, dass es ziemlich viel Spaß machen kann, mitHeteros zusammenzuarbeiten.

Und welche Veranstaltungen gibt es heute im SchwuBiLe?Schauen wir ins aktuelle Programm:

Nun, ich glaube es wird klar, worauf ich hinauswill:Fun-Angebote sind gut und wichtig. Niedrigschwellige Angebote ebenfalls – undSafer-Sex-Übungen meinetwegen auch. Aber die würde eine lesbisch-schwuleSelbsthilfegruppe an der Uni auch auf die Beine stellen können. Bei mir bleibtein sehr schaler Beigeschmack, wenn ich an einem Ort wie der Universität einAutonomes Referat habe, das vor allen Dingen Service-Veranstaltungen anbietet.

Sicherlich. Es ist wie beim Fernsehen: Die Quote mussnatürlich stimmen. Aber bitte: Seid nicht Privat-Fernsehen, sondern lieber einbisschen öffentlich-rechtlicher Rundfunk – gut gemachter natürlich! Da gehörengewisse Sendungen zur Grundversorgung dazu – ganz ohne Quotenzwang! Undmanchmal wundert man sich dann, wie viele Menschen trotzdem zugucken oder aber –bezogen auf die Uni – zu solchen Veranstaltungen kommen.

Und viele Themen liegen auf der Hand!
Ich will nur zwei aktuelle Beispiele nennen:

Früher musste das SchwuBiLe in jeder Legislaturperiode darumkämpfen, nicht vom AStA abgeschafft zu werden. Oder es drohten Etatkürzungen. Natürlichwar das nervenaufreibend, aber es hat auch angespornt. Uns war nicht egal, wenndie StuPa-Wahlen zu einem Rechts-AStA geführt haben. Allerdings hat uns derKampf um den Erhalt des SchwuBiLe auch ganz schön viel Zeit gekostet. Die habtihr jetzt gewonnen!

Im Moment ist das SchwuBiLe doch in einer recht komfortablenPosition: Es geht augenscheinlich nicht mehr ums Überleben. Nutzt diese gewonneneZeit wieder für politische Arbeit. Fangt nicht an, bequem zu werden oder euchanzupassen. Denn damit könntet ihr euch auch überflüssig machen.

Bringt doch zwischendurch ein bisschen „revolutionäresGedankengut“ unter das Studierendenvolk.

Probiert mal wieder aus, unbequem zu sein!

Der Wind, der euch dann entgegenweht, kann auch beflügeln!

Ich freue mich jetzt schon auf die Feiern zum 30-jährigenSchwuBiLäum – und ein Thema für eine Festrede hätte ich auch schon!

Rede gehalten am 28. Mai 2009 auf demJubiläums-Empfang „25 Jahre SchwuBiLe“
in der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen (Glaspavillon)

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25 Jahre „SchwuBiLe“ – „Noch viel zu tun“


 


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